Wolfram Siebeck ist tot

Wolfram Siebeck ist tot. Für mich ist deshalb heute ein sehr trauriger Tag. Denn ich habe von ihm kochen gelernt.

Und das kam so: Ende der 80er Jahre bin ich von zuhause ausgezogen, auf das Leben ohne Mama allerdings nur unzureichend vorbereitet. Meine Kochkünste waren sehr beschränkt, im wesentlichen auf das Aufwärmen von Nudelsuppe und Fertigpizza. Mein sonstiges Repertoire bestand aus “Nudeln mit Tomatensauce”. Und die Tomatensauce bestand aus einer halben Zwiebel, einem Eßlöffel Tomatenmark, zwei Eßlöffeln Mehl und etwas Wasser. Klar, das konnte man Essen. Aber so richtig lecker war es, ehrlich gesagt, eher nicht.

Die 80er waren kulinarisch gesehen eine finstere Zeit. Kein einziger Supermarkt in meiner Umgebung führte so exotische Zutaten wie Olivenöl (von kaltgepreßtem wollen wir hier mal gar nicht reden), Knoblauch oder gar frischen Ingwer. Fleisch wurde grundsätzlich totgebraten, Fisch sowieso, und Saucen basierten auf Mehl.

In diese Düsternis fuhr für mich ein Lichtstrahl in Gestalt von Wolfram Siebeck. Nicht nur war er ebenso wie ich der Ansicht, mit Mehlpapp könne man keinen Michelin-Stern gewinnen. Er wehrte sich auch wunderbar eloquent gegen alle anderen kulinarischen Furchtbarkeiten der ausgehenden Nachkriegszeit, wie zum Beispiel Salate, die in Zuckerwasser schwimmen, oder Gemüse, das bis zur Unkenntlichkeit verkocht wird. Wolfram Siebeck konnte schreiben, auch wenn seinen Stil manche für maniriert hielten. Er hatte wunderbare Buchtitel wie “Nicht nur Kraut und Rüben”, “Eine Prise Süden” oder “Wenn Madame den Deckel hebt” – diese abgegriffenen Taschenbücher stehen heute noch auf einem Ehrenplatz in meinem Kochbuch-Regal. Damit führte Wolfram Siebeck das Banner des Gegenentwurfs zur deutschen Pampigkeit beim Essen, nämlich der französischen Küche mit ihren Braten und wunderbaren Saucen.

Aber ich sagte ja, ich habe von Wolfram Siebeck kochen gelernt. Neben seinen sprachlich feuerwerkenden Totalverissen der so genannten deutschen Küche hatte Siebeck im Gegensatz zu praktisch allen anderen Kochbuch-Autoren jener Zeit eines perfekt drauf: Er konnte erklären, was man in der Küche machen muß, wenn am Ende gutes Essen herauskommen soll. Und das manchmal  (na ja, eigentlich immer) seitenlang. Aber die scheinbare Geschwätzigkeit war für mich genau das Entscheidende: Zwei Seiten darüber, wie man eine Zwiebel schneidet. Super! Welcher Laie weiß das schon? Im Rezept steht “Zwiebel fein würfeln”, aber was heißt das überhaupt? Also: Wie geht “würfeln”, und was heißt “fein?”

Für mich eine typische Passage aus einem Siebeck-Kochbuch stammt aus seinem Rezept für einen Lachs, der mit sehr, sehr, SEHR viel Butter und Sahne im Ofen gegart wird:

“Von nun an wird geklotzt. Sahne bedeutet hier eine Sahnemischung, nämlich Sahne und Crème Fraîche. Die handelsübliche Sahne ist für meinen Lachs viel zu dünn. Außerdem fehlt ihr die Säure der Crème. Also Sahne und Crème Fraîche. Wieviel von jeder Sorte – nun, ich habe ganz allgemein starke Bedenken gegen genaue Mengenangaben bei solchen Sachen. In diesem Fall sind sie besonders schwer zu machen, allerdings auch nicht sonderlich wichtig. Daß es viel sein muß, habe ich schon gesagt, und das Mischungsverhältnis sollte ungefähr 2:1 sein. Aber das ist Gefühlssache.” (aus: Wolfram Siebeck: Die Feinschmecker-Kochschule)

Alleine diese kurze Passage zeigt schon, wie sehr sich Wolfram Siebeck in Details versenken konnte, aber auch in die Essenz des guten Kochens: Man kann die Zutaten nicht aufs Gramm genau verwiegen, denn jeder Lachs, jede Zutat ist anders. Und Kochen deshalb eine Sache der Erfahrung, eine Sache des Gaumens, eine Sache des Abschmeckens. Das hat mir Wolfram Siebeck beigebracht vor ziemlich genau 30 Jahren. Ich zehre heute noch davon. Farewell, Wolfram Siebeck.

(Kochbücher von Wolfram Siebeck)

primark

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