Ich gestehe: Fergus Henderson ist einer meiner ganz, ganz großen Helden, was das Kochen angeht. Mehr oder weniger im Alleingang hat er in den 90er Jahren zuerst die britische und dann die internationale Hochküche revolutioniert, indem er Innereien als Zutaten wieder salonfähig gemacht hat.
Das Ergebnis dieser Revolution sind (mindestens) zwei wunderschöne Kochbücher, nämlich “Nose to Tail Eating” und “Beyond Nose to Tail Eating”. Das Ergebnis sind außerdem (mindestens) zwei Restaurants im alten Großmarktviertel am Rande der Londoner City. Das Hauptrestaurant, “St. John”, war mir für diese Gelegenheit zu “Posh”, wie der Engländer Dinge nennt, für die uns das Wort “Etepetete” in den Sinn kommen würde.
Also habe ich einen Tisch im weniger “edlen” St. John Bread and Wine reserviert. Auch in diesem Restaurant werden die Rezepte aus Fergusons Kochbüchern serviert. Es geht alles sehr leger zu, die Tische haben keine Tischdecken, und das Essen kommt im “Tapas-Stil” auf den Tisch: Jeder bestellt mehrere Gerichte, die man sich teilt und die die Küche dann an den Tisch schickt, wenn sie halt gerade fertig sind. Das gab uns die Gelegenheit, quasi mit einem einzigen Besuch einen kompletten Querschnitt durch die Küche zu gewinnen.
Was wir probiert haben, war durch die Bank absolut wunderbar – wenn auch mit kleinen Abstufungen. An deren “unterem” Ende war der sicherlich leckere und perfekt zubereitete, aber halt nicht besonders originelle grüne Spargel mit Butter und Reibekäse. Alles andere war so toll, dass mir weitere Abstufungen allerdings schwerfallen. Da war zum Beispiel die butterzarte Seezunge mit Stängelkohl (heißt bei uns auch “Mönchsbart” oder italienisch “Cima di Rapa”), ein paar Schalotten-Ringen und einer wunderbaren Sahnesauce. Das ist große, große Küche, handwerklich perfekt bis aufs i-Tüpfelchen, aber völlig ohne Chichi.
Dieses Prinzip treibt Spiritus Rector Fergus Henderson, der aufgrund einer Parkinson-Erkrankung selbst nicht mehr in der Küche stehen kann, mit seinen Rezepten so sehr auf die Spitze, dass dabei wahre Offenbarungen an Gerichten herauskommen. Etwa die Wild-Terrine, die sowas von auf den Punkt gegart war, wie man das sonst nur bei Lammfilets in Sterne-Restaurants erlebt. Oder der Brotaufstrich von Entenleber, dem man alles, aber keine Leber anschmeckte und der sofort auf der Zunge zerging. Oder die sehr dünnen und vermutlich nur Millisekunden gegarten Streifen vom Ochsenherz mit einem wunderbar säuerlichen Salat. Oder, als Krönung des Ganzen, Fergus Hendersons berühmte “Devilled Kidneys”, also mit Senfpulver und Chilis geschärfte und dann rosa angebratene Lammnieren, die mit wunderbarer Sauce einfach auf einem Stück Brot daherkamen. Ich finde, einfacher kann gutes Essen nicht sein – und wer es schafft, so einfaches Essen auf diesem Niveau zu machen, der ist ein wahrer Meister.