Nobelhart & Schmutzig Berlin

11So. Wie sage ich das jetzt? Vielleicht am besten ganz ehrlich: Einen Abend wie den im “Nobelhart & Schmutzig” in Berlin habe ich noch nie erlebt. Noch nie. Und das, obwohl ich aus Nürnberg komme. Dort gibt es mit André Köthe im “Essigbrätlein” einen Koch, der ebenfalls im Sternebereich unterwegs ist, ebenfalls neue Wege beschreitet und ebenfalls auf regionale, ungewöhnliche und möglichst naturbelassene Zutaten setzt und mit mehr Gemüse und weniger Fleisch arbeitet als die meisten anderen Spitzenköche.

“Nobelhart & Schmutzig”: Total regional

Aber Billy Wagner, der übrigens in Erlangen aufgewachsen ist, treibt die Sache im “Nobelhart & Schmutzig” (derzeit 1 Michelin-Stern) zusammen mit seinem Chefkoch Micha Schäfer auf die Spitze. Bei ihnen geht Regionalität so weit, dass sie schlicht auf Zutaten verzichten, die in Berlin und Umgebung nicht wachsen. Das heißt zum Beispiel: Kein Pfeffer. Und ist ein interessanter Gegensatz zu Tim Raue, der mit seinem gleichnamigen Restaurant gleich um die Ecke in der Rudi-Dutschke-Straße residiert und sich dort auf fernöstliche Aromen kapriziert hat.

2Billy Wagner und Micha Schäfer dagegen, die man für ihre Coolness in dieser Hinsicht nur bewundern kann, besitzen tatsächlich die Chuzpe, als zweites Amuse einfach ein Radieschen und einen “Eiszapfen” (eine alte, miniaturisierte Form von Rettich) zu servieren, die lediglich von etwas in Butter gebräunten Semmelbröseln gekrönt sind. Sonst nichts. Aber: Das reicht auch, es ist ein Gedicht und eine Geschmacksbombe, die man so auf keinen Fall erwartet hätte. Und die man übrigens mit den Händen essen darf.  Schon das allererste Amuse, hauchdünne Scheiben einer speziellen Kohlrabi-Art, begleitet von ebenfalls hauchdünnen Scheiben eines leicht geräucherten Schweine-Lardo von einer örtlichen Kreuzung aus Haus- und Wildschwein, hatte Großes erahnen lassen.

Und so zieht sich das durch das gesamte zehngängige Menü, das übrigens alternativlos ist: Eine Karte, wie sonst auch in Sternerestaurants üblich, sucht man hier vergeblich. Es gibt das Menü, und Schluß. Mit achtzig Euro ist man überraschend preisgünstig dabei. Das Konzept nimmt natürlich Anleihen bei Noma und Fäviken, den heute schon “Klassiker” zu nennenden Vorbildern der so genannten “nordischen Küche” – auch im Noma wird mit den Händen gegessen, auch im Fäviken waren die Gerichte scheinbar simpel. Das ist aber natürlich keine Abwertung für die Küche von Wagner und Schäfer, es zeigt lediglich, in welcher “Tradition” das “Nobehart & Schmutzig” steht. Das, was hier auf den Tisch kommt, ist trotz aller Vorbilder absolut einzigartig.

“Nobelhart & Schmutzig”: Scheinbar einfach

Die Gerichte enthalten selten mehr als drei Komponenten, aber die haben es in sich. Ich nenne da beispielsweise den Saibling aus regionaler Zucht. Er wurde nach der japanischen “Ike Jime”-Methode geschlachtet. Ohne jetzt zu sehr in die Details zu gehen: Bei dieser Methode wird der Fisch zuerst getötet und dann ausgeblutet. Durch das bei konventionellem Fang unübliche Ausbluten wird das Fleisch unglaublich zart. Man muß fast nichts mehr damit machen, außer es ganz sanft unter dem Salamander zu garen und es auf einem scheinbar harmlosen Zwiebel-Confit zu platzieren, das aber, wie zu erfahren war, mit getrockneten Dillblüten aromatisiert war und so eine ganz besondere Note erhielt.

Dieses scheinbar “einfache” Prinzip wurde fast auf jeden Gang angewendet. Sei es die wunderbar knackig-zarte Nacktgerste mit hausgemachtem Ziegenfrischkäse und Sauerampfer. Oder der (sehr!) knapp, aber dennoch genau richtig gegarte Spargel mit zwei Saucen von Bärlauchrauke und Quark. Oder der Hauptgang, zweierlei vom Lamm aus dem Naturschutzgebiet an der Müritz (einmal Bauch, einmal Keule) mit einer zunächst gewöhnungsbedürftigen, am Ende aber sehr stimmigen Reduktion von karamelisierter Schwarzwurzel und nur leicht mariniertem Bärlauch.

Auch bei den Desserts sind Wagners und Schäfers Gerichte konsequent gegen den Strich gebürstet. Zunächst gab es dünn gehobelten, rohen Rhabarber mit einer Weizengras-Granité (einer Art zerstoßenem Wasser-Eis) und Zucker, der mit Kirschpflaumenblüten aromatisiert war. Danach kam noch ein wirklich sehr schönes Butter-Eis mit einem Petersilien-Jus und getrocknetem Sanddorn, bei dem Süße und säuerliche Aromen – auch im Zusammenhang mit dem begleitenden Wein – sehr fein ausbalanciert waren.

Überhaupt, die Weine. Oder besser gesagt: Die Getränke. Billy Wagner servierte uns (und zwar persönlich!) ausschließlich Weißweine – oder halt, es waren nicht ausschließlich Weißweine. Es gab auch mal ein dänisches Weizenbier, das aber zusammen mit Orangenschale und Koriander angesetzt war. Oder einen Cidre, der mit Kastanien  vergoren wurde, was ihm ein fast pralinenhaftes Aroma verlieh. Auch die Weine – teilweise ungefiltert oder nach Art eines Rotweins, also zusammen mit Kernen und Schalen vermaischt – waren allesamt ein Erlebnis und begleiteten die Speisen sehr harmonisch.

Leider aber erlebten wir am Ende unseres Abends noch eine Enttäuschung. Das die Rechnung, die wir für jeden von uns getrennt bestellt hatten, zunächst als gemeinsame Rechnung kam. wäre dabei noch leicht zu verschmerzen gewesen. Als sie aber dann getrennt kam, war auf einer der Rechnungen ein Aperitiv und eine Weinbegleitung vermerkt, die wir weder bestellt noch bekommen hatten. Zusammen machte das immerhin fast 70 Euro an unberechtigtem Rechnungsbetrag. Gut, sowas kann mal passieren (sollte es allerdings in der Sternegastronomie eigentlich nicht). Dass uns dann aber die korrekte Rechnung ohne jedes Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung schweigend vorgelegt wurde – das geht leider gar nicht. Wir hätten das dem Patron gerne noch selbst gesagt. Er war jedoch leider zu dem Zeitpunkt gerade nicht anwesend, und unser ansonsten sehr guter Eindruck von “Nobelhart & Schmutzig” damit leider getrübt. Das finde ich sehr schade und ich hoffe wirklich, dass das Team von “Nobelhart & Schmutzig” diese Probleme in den Griff bekommt und an der Freundlichkeit gegenüber dem Gast noch arbeitet.

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UPDATE 12. Mai 2016

Nach dem Erscheinen des obigen Posts hat sich Billy Wagner bei mir via Facebook gemeldet und sich sehr nett für das Mißgeschick mit der Rechnung entschuldigt. Ich gehe (wie gesagt) davon aus, dass er das auch im Restaurant getan hätte, wenn er zu dem Zeitpunkt nicht zufällig gerade nicht im Raum gewesen wäre. Ich finde das sehr gut und mein kleines Serviceproblem mit dem Nobelhart & Schmutzig ist damit aus der Welt. Danke nochmal!

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