Restaurant Ernst Berlin

Restaurant ernst Berlin

Der Weg ins Paradies ist beschwerlich: man fährt mit der U-Bahn bis zur Haltestelle Wedding. Dann überquert man eine mehrspurige Ausfallstraße. Es geht quer durch einen Park, der gerade renoviert wird. Dann rechts abbiegen, vorbei an Häusern, die eigentlich mal wieder renoviert gehörten. Und schon ist man am Ziel: ein unmarkiertes Gebäude ohne jede Kennzeichnung; schräg gegenüber liegt die Keglerklause, daneben eine Apotheke, ein Bestatter und ein vietnamesisches Restaurant. Ums Eck: Ein Späti, ein Bäcker und eine Spielhalle. Das ist nicht unbedingt die Umgebung, in der man ein Sterne Restaurant vermutet. Das ernst Berlin ist auch keins – noch nicht. Vielleicht ist es aber auch grundsätzlich etwas anderes, etwas besseres am Ende sogar.

Zumindest scheint der junge Chefkoch Dylan Watson-Brawn angetreten, das Konzept der hohen Gastronomie schlagartig ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Er bricht mit fast allem, man sonst aus der Gourmetszene kennt. Sein Restaurant hat gerade mal zwölf Plätze. Sie alle liegen an einer Bar, von der aus man direkt in die offene Küche prägt. Das ist ein bisschen so wie beim artverwandten nobelhart und schmutzig in Berlin, nur noch direkter, noch extremer. Die traditionelle Aufteilung zwischen Küche und Service, zwischen Service und Sommelier gibt es hier nicht. Es gibt noch nicht mal einen Spüler. Auch die klassische Einteilung der “Küchenbrigade” wurde über Bord geworfen: Hier gibt es keinen Patissier, Poissonier oder Entremetier, hier macht jeder alles. Anders wäre so ein riesen Menü auch mit fünf Leuten nicht zu stemmen.

Um ins Paradies hineinzukommen, muss man als Gast erst mal klingeln. Dann öffnen einem zwei freundliche junge Männer in Kochkleidung die Tür, kümmern sich um die Garderobe und platzieren einen sofort auf einer Art Barhocker mit Stoffbespannung.

Und schon nach wenigen Minuten geht es los: der erste von insgesamt 32 Gängen wird serviert. Es handelt sich dabei um einen kleinen Quader von Frischkäse, dazu dessen Molke, die nur mit einem ganz kleinen wenig wilden Kerbel gewürzt ist. Im erst Moment denke ich: “Moment mal, das schmeckt doch noch gar nichts????” Tut es dann aber natürlich doch. Und zwar ganz leicht, ganz zart. Nach Kuh, nach Wiese, nach mehr. Und viel komplexer als die Milch aus dem Supermarkt, die wir heutzutage hauptsächlich zu uns nehmen. Damit ist schon die Ouvertüre eigentlich die beste Zusammenfassung für den Abend: Es geht darum, hervorragenden Zutaten ihren Raum zu geben, sie aus sich selbst heraus wirken zu lassen, ohne Chichi, ohne Zauberei und ohne übertriebene Technik.

DassDylan Watson-Brawn sein Fleisch traditionell gart und nicht etwa mit dem scheinbar so modernen Sous-vide-Verfahren, ist ein typisches Symptom für die Philosophie des Hauses. Der Pacojet kommt zwar bei einigen Gängen zum Einsatz, aber dieses Stück Technik ist offenbar in der heutigen Gastronomie tatsächlich nicht mehr verzichtbar.

Dem Menü merkt man außerdem sehr deutlich an, dass der Chef einen Teil seiner Wanderjahre in Japan verbracht hat. Genauso wie das spartanische Design des Restaurants, so sind auch die einzelnen Gerichte konsequent reduziert. Immer wieder kommen im Laufe des langen Menüs japanische Zubereitungen und Techniken zum Einsatz. So zum Beispiel ein original japanischer Holzkohlegrill oder die japanische Grundbrühe “Dashi”, die gleich mehreren Gängen ihr auch zartes Aroma verleiht.

Wenn mich nun jemand fragen würde, was meine Highlights an diesem Abend waren, so müsste ich sagen: es gibt keine. Der gesamte Abend war für mich ein einziges Highlight von vorne bis hinten. Das begann schon beim ersten Amuse Guele. Es setzte sich fort mit Kabinettstückchen wie etwa einem rohen Stück weißen Spargels mit einem Dip aus Sahne und Pinienöl. Es gab  einen Wildkräutersalat mit Gelee vom Apfelessig – so frisch, dass er fast aus derSchüssel sprang. Zwei hauchdünne Scheiben knusprig getrockneter Rhabarber, dazwischen eine ebenso hauchdünne Scheibe aufgeknusperter Schweinespeck. Ein Stück perfekte Brioche, darauf gereifte Butter, welche die Kollegen vom schwedischen Restaurant „Fäviken“ jüngst vorbeigebracht hatten. Artischockenblätter in einer Dashi-Brühe mit ganz leichtem Zitronenaroma. Ein Sashimi von der Forelle, die nach japanischer Methode geschlachtet worden war und die deshalb eine ganz besondere Konsistenz hatte. Eine Granité von der gegrillten Zitrone. Undundund.

Am Ende war der gut vier Stunden lange Abend in der Rückschau zwar ein kulinarischer Parforceritt – Er fühlte sich jedoch gar nicht so an. Selten habe ich besser gegessen, mich besser unterhalten und schönere Weine getrunken. Und, ganz nebenbei: Selten saß ich in einem so hochwertigen Restaurant mit einem so jungen Publikum zusammen, das sich zudem genau wie ich sehr fürs Essen zu interessieren schien. Wer weiß: Vielleicht ist dieses Konzept tatsächlich sowas wie ein Weg in die Zukunft.

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