Wenn es eine gastronomische Einrichtung in Nürnberg gibt, für die Murphys Gesetz gilt, dann sicher “die Wirtschaft” im Neubau der Industrie- und Handelskammer an der Waaggasse. Denn kaum war der imposante Bau im vergangenen Jahr fertiggestellt, kam Corona. Und kaum hatte die Gaststätte im Sommer wieder geöffnet – kam nochmal Corona.
Nun also kann man nur hoffen, dass wir das Schlimmste hinter uns haben. Seit kurzem ist in Bayern wieder Gastronomie auch in Innenräumen erlaubt. Da musste ich “die Wirtschaft” natürlich sofort ausprobieren.
Interessiert hat mich das Etablissement vor allem deshalb, weil es in der Werbung mit einem ganz klaren “fränkischen” Focus an den Start geht. Die Lieferanten – darunter meine Lieblingsmetzgerei Wolf aus der Bucher Straße – kommen zum großen Teil aus der Region, auch das finde ich sehr gut und sinnvoll.
Ein Restaurantbesuch beginnt oft mit der Reservierung. Die sollte man in der Wirtschaft am besten telefonisch machen. Online ist immer nur ein bestimmtes Platzkontingent verfügbar. Klar: Die “Wirtschaft” befindet sich in einer Top-Lauflage, und deshalb möchten die Wirtsleute auch spontanen Gästen eine Chance geben. Das kann ich absolut nachvollziehen.
Die umfangreiche Speisekarte in der “Wirtschaft” beginnt mit der Rubrik “Gudzerla”, also dem, was der Oberbayer “Schmankerl” nennt und der Spanier “Tapas”.
Hier gibt es einen bunten Strauß verschiedener Angebote. Von der klassischen “Stadtwurst mit Musik” (die hier allerdings als “im süß-sauren Sud” auf der Karte steht) über ein Schinkenbrett und “Carpaccio” (also Aufschnitt) von der Schwarzwurst mit Weißweinreduktion. Je länger ich in der Karte lese, um so mehr sehe ich das Augenzwinkern des Chefs bei den Bezeichnungen der Gerichte. Dieses Augenzwinkern finde ich erfrischend, es ist jedenfalls mal was anderes. Dass hier natürlich kein “echtes” Carpaccio gemeint ist wie in Italien, das versteht sich ja auch irgendwie von selber. Viel entscheidender als die Bezeichnungen auf der Speisekarte ist ja immer noch der Geschmack – und der interessiert mich jetzt.
Also wähle ich von den “Gudzerla” ein “Tatar vom gebeizten Saibling” mit Creme Fraiche, Zitrone und frischen Kräutern (7,90 Euro). Das kleine Gericht kommt schon nach wenigen Minuten zu mir an den Tisch, für das Tempo (und übrigens auch die professionelle Freundlichkeit!) bekommt der Service von mir die volle Punktzahl. Der Saibling ist für meinen Geschmack ein kleines bisschen zu salzig, aber insgesamt gut abgeschmeckt. Auch die Konsistenz ist OK, das “Tatar” ist rustukal, also etwas gröber gehackt. Die hauchdünnen gerösteten Schwarzbrotscheiben als Garnitur runden das Ganze ab.
Wenige Minuten später folgt mein Hauptgang, die geschmorte Rinderbacke mit Selleriepüree und Kartoffeltalern von der Wochenkarte zu 19,50 Euro. Neben diesen auf der Speisekarte annoncierten Komponenten finden sich auf meinem Teller außerdem noch eine gegrillte Kirschtomate und ein frittiertes Salbeiblatt.
Das klare Highlight des Gerichts ist die wirklich, WIRKLICH superSUPERzarte Rinderbacke. Ein echtes Gedicht. Die zugehörige Sauce ist sehr ordentlich, vielleicht ein bisschen zu sehr eingedickt, aber das sind Nuancen. Das leicht süßliche Selleriepüree bildet zu beidem einen schönen Kontrast.
Ein Problem habe ich leider mit den absolut uniformen “Kartoffeltalern” auf dem Teller. Unter diesem Begriff hätte ich mir vielleicht kleine Rösti oder Kartoffelpuffer vorgestellt, vielleicht auch Herzogin-Kartoffeln in Rundform. Tatsächlich aber handelte es sich um Scheiben aus einem Teig, der fast ein bisschen wie gepreßter Kartoffelbrei oder eine Dampfnudel wirkte und eine seltsam weiche, aber dennoch bissfeste Konsistenz aufwies und kein angenehmes Mundgefühl ergab. Hier muß ich ganz klar sagen: Das war nix. Man hätte hier mit den bereits erwähnten kleinen Rösti oder auch einer ganz einfachen Scheibe vom gerösteten Servietten- oder Semmelknödel viel mehr erreichen können – zusätzlich wäre so auch noch etwas Knusper ans Gericht gekommen.
Nun muß man das Ganze aber auch perspektivisch sehen: Die Küche in der “Wirtschaft” ist sehrkompetent aus meiner Sicht. Und grundsätzlich würde ich in der Gastronomie derzeit JEDES Urteil, das ich mir erlaube, unter einem ganz dicken “Corona-Vorbehalt” sehen. Die Küchenteams haben ja schließlich das gleiche Problem wie eine professionelle Fußballmannschaft, die ein Jahr lang nicht trainieren konnte: Man muß erstmal wieder Tritt fassen.
Die Pandemie war und ist für die Branche eine absolute Katastrophe. Ich bin ehrlich gesagt sehr dankbar, dass ich überhaupt wieder im Restaurant essen darf. Noch dankbarer bin ich dafür, dass es Leute gibt, die mir im Restaurant ein leckeres Essen kochen und es mir freundlich servieren. Und schließlich: Toll ist, dass die gute, bodenständige fränkische Küche mit der “Wirtschaft” einen neuen Vertreter in der Nürnberger Innenstadt gefunden hat. Ich werde gerne wiederkommen.