Gutes Essen und Kultur

Das alte Sprichwort sagt ja: Liebe geht durch den Magen. Ich denke: Kultur auch. Lassen Sie mich das kurz erklären. Also: Kultur an sich ist Verfeinerung. Und Verfeinerung ist erst möglich, wenn die existentiellen Bedürfnisse erfüllt sind. Also: Wenn jemand nicht frieren muss, wenn er satt ist und genug Wasser zu trinken hat. In einer Welt, in der diese elementaren Bedürfnisse nicht (oder jedenfalls nicht immer) erfüllt sind, kann es keine Kultur geben. Jemand, der seit Tagen nichts gegessen hat, geht nicht in ein Museum und genießt auch keine Wagner-Oper. Er sucht sich stattdessen was zu essen.

Aber auch das Essen ist ein Ausdruck der Kultur – für mich natürlich der wichtigste.

Wenn wir mal kurz in die Geschichte blicken, dann gibt es Feinschmeckerei ja noch gar nicht so lange. Das erste schriftlich überlieferte Beispiel ist das Kochbuch das Apicius aus dem alten Rom. Da finden wir schon Formen der Verfeinerung wie Marinaden, exotische Zutaten, Aromen und Gewürze, die uns seither durch die Jahrhunderte begleitet haben. Und schließlich ist ja auch die oft geschmähte Sitte der oberen römischen Gesellschaft, sich so extrem dem kulinarischen Genuss hinzugeben, dass man sich im Laufe eines Menüs mittels Pfauenfeder mehrmals der bereits genossenen Gänge zu entledigen, der Ausdruck eines kulturellen Blicks auf das Thema „Ernährung“.

Nach den Römern kam eine Zeit, die von den Engländern zu recht als das „dunkle Zeitalter“ bezeichnet wurde – auch kulinarisch war es wieder stockfinstere Nacht. Erst mit der Renaissance entstanden die ersten Vorläufer unserer heutigen Großen Küche, die sich zuerst im Adel Italiens und später auch in der französischen Oberschicht etablierten. Die so genannte „bürgerliche“ Küche aber, die noch heute etwa von den französischen Bistros vertreten wird, stand nach wie vor im Zeichen des satt werdens. Der Adel dagegen zeigte schon in seinen Tischsitten, dass es inzwischen mehr um Verfeinerung ging als um die Aufnahme von Kalorien. Vielgängige Menüs waren mehr gesellschaftliches Ereignis als Anlässe, das regelmäßig auftretende Hungergefühl zu stillen.

Und heute? Heute ist es, wenn Sie mich fragen, sehr spannend. Letztlich ist die heutige Sterneküche heute immer noch oft ein Überbleibsel der adligen Speisekultur. Manche Genießer finden das „Brimborium“ eines Sternerestaurants richtig toll, weil es den Ereignischarakter eines großen Abendessens unterstützt. Andere wiederum fühlen sich eher abgeschreckt und haben Angst, etwas falsch zu machen (übrigens: Diese Angst ist unbegründet; das Servicepersonal in einem feinen Restaurant ist immer kompetent und gut ausgebildet und erklärt gerne alles). Daraus haben sich in den vergangenen Jahren zwei große Trends entwickelt. Der eine, der etwa von Heston Blumenthal mit seinem Restaurant „Fat Duck“ vertreten wurde, lautet: Noch weiter abheben! Bei Blumenthal gibt es etwa einen Fischgang, der zusammen mit einem iPod und Kopfhörern serviert wurde. Über die Kopfhörer liefen Meeresgeräusche. Blumenthalt vertrat die These, dass „Seafood“ besser schmeckt, wenn der Genießer gleichzeitig Meeresgeräusche hört. Zum Beispiel deshalb, weil diese Geräusche Erinnerungen an die Kindheit auslösen, die dann wiederum den Geschmack anders erlebbar machen.

Der andere große Trend derzeit, vertreten etwa durch Billy Wagner vom “nobelhart und schmutzig” in Berlin, heißt: Ganz bewusste Vereinfachung. Das heißt: Verzicht auf Tischdecke, Verzicht teilweise sogar auf Besteck. Dieser Ansatz ist allerdings auch interpretationsbedürftig, man versteht ihn nur dann richtig, wenn man weiß, gegen wen oder was er sich richtet und wozu er die Gegenbewegung darstellt.

Esszimmer im Hotel goldene Traube CoburgAber unter dem Strich finde ich: Hohe Küche darf sich nicht nur an Intellektuelle wenden, sie muß allen etwas bieten und deshalb auch Berührungsängste abbauen. Genau wie die “richtige” Kunst auch. Sie darf und soll aber auch zeigen, wie viel Essen und Kultur miteinander zu tun haben, wie oft auch Kulinarik und etwa bildende Kunst ineinander übergehen.

Ein Beispiel? In einem Menü des jungen Sternekochs Steffen Szabo in Coburg gab es ein Dessert mit dem großen Thema „Süßholz“ (oder, wenn sie so wollen, „Lakritz“). Für diesen Gang hatte die Küche sich genau überlegt, wie man durch die verschiedenen Komponenten, die am Ende auf dem Teller waren, mit diesem Thema spielen kann. Zum Beispiel, indem man verschiedene Temperaturen oder verschiedene Konsistenzen (etwa knusprig, flüssig, zähflüssig) einsetzt. Aber genauso wichtig war die Optik. Lakritze ist ja tief schwarz, also wurde auch damit gespielt und hatten am Ende einen Teller, dessen Komponenten ausschließlich aus verschiedenen Graustufen aufgebaut waren. Wird man davon satt? Ja, schon – aber das ist nicht der Punkt.

(Dieser Artikel ist Teil der Blogparade #Kultblick von Tanja Praske)

8 Kommentare

  1. Lieber Thomas,

    grandios! Ein herzliches Dankeschön für diesen wunderbaren Kulturblick und die Querbezüge von Esskultur zur Kunst: Weg mit den Berührungsängsten!
    Habe gerade gegessen: Steak mit Nudeln mit Pesto und angebratenen Cherrytomaten in Salbei, setze mich an den Desktop und finde deinen wunderbaren Kulturgenuss. Schon gewöhnungsbedürftig die Grauabstufungen auf dem Teller, wenn es dann noch um Lakritze geht, frage ich mich, wie gewöhnungsbedürftig der Genuss wohl war?

    Für Kulturhistorische Exkurse in der Küche mag als Inspiration auch die Publikation von Dr. Peter Peter dienen. Vielleicht interessiert dich dazu sein Gastbeitrag bei mir im Blog: https://www.tanjapraske.de/kultur-erleben/kulturgenuss/frisches-obst-alte-sorten-edle-sorten-lustwandeln/. Habe den Link heute Peter aka Aus meinem Kochtopf übermittelt. Wenn du mal wieder in München bist, kann ich dir nur einen Besuch der Schlossgärtnerei des Schlosses Schleißheims empfehlen. Die haben im Verkauf die alten, teils rekultivierten, natürlich ungespritzten Obstsorten im Verkauf, häßlich, aber wunderbar lecker. Neuerdings gibt es dort auch den kurfürstlichen Parmasan und der ist einfach nur herrlich.

    Danke nochmals für deinen tollen Beitrag zur Blogparade #KultBlick des Archäologischen Museums Hamburg. 47 famose Posts gibt es bereits, einer facettenreicher als der andere. Wir sind restlos begeistert.

    Sonnige Grüße
    Tanja

  2. Wie schön. Koch-, Tisch-, Eßkultur: essen formt uns. .) Mir gefällt die Parallele von den diversen Strömungen der Gastronomie zu denen der Kunst; populär, abstrakt, “hoch” … Food for thought.

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